Welches Selbst vergisst sich im flow-Zustand?
Ein Anreiz des flow-Zustands ist die so genannte „Selbstvergessenheit”. Mihaly Csikszentmihalyi nennt dieses Merkmal den „Verlust des Selbstbewusstseins” („loss of self-consciousness”). Das Selbst, welches im flow „vergessen” wird, ist das Ich als Objekt: Dieses „Mich-Selbst” entsteht in dem Moment, wenn man sich bzw. sein Tun reflektiert.
Selbstreflexion ist wesentlich für die Selbstentwicklung. Problematisch wird es, wenn man an den Erkenntnissen und Ergebnissen der Reflexion reaktiv festhält. Dadurch kommt die Aktivität zum Erliegen und der flow-Zustand wird unterbrochen.
Warum wird die „Selbstvergessenheit” im flow als befreiend erlebt?
Selbstreflexion kann, abhängig vom Stand der Selbstentwicklung, härter oder milder ausfallen. Manche Arten der Selbstreflexion werden als Druck oder Enge erlebt.
Ein Beispiel: Ein Ich, das sich auf der sozialisierten Ebene reflektiert, interpretiert seine Erfahrungen oft als ungenügend oder weist die Verantwortung bzw. Schuld dafür anderen zu. Die Folge ist, dass man oft und viel darüber reflektiert, was man besser machen muss, um die oftmals diffusen Erwartungen anderer Personen zu erfüllen. Daraus ergibt sich eine reaktive Spirale von Unzulänglichkeit, Frustration und übermäßigen Selbstzweifeln.
Im Unterschied dazu erlebt das Ich im flow-Zustand eine hohe Klarheit, eindeutig-konstruktives Feedback und die Freiheit von negativen Selbst- und Fremdbeurteilungen. Man hat das Gefühl, das Richtige zu tun. Das befeuert die Motivation und stärkt das Selbstvertrauen.
Was hat flow mit Selbstoptimierung zu tun?
Der Duden versteht Selbstoptimierung als die übermäßige, aber freiwillige Anpassung an äußere Erwartungen oder Ideale. Im Alltag wird Selbstoptimierung meist mit einer Vermessung und Beeinflussung des eigenen Körpers bzw. Verhaltens gleichgesetzt. Dazu zählt zum Beispiel die Nutzung von Tracking-Apps, um physiologische Daten zu erheben (Herzfrequenz, Laufstrecke, Schlaf, Ernährung) oder das Biohacking durch Diäten, Superfood, exzessives Sporttreiben, Drogen, Medikamente oder gar Schönheits-Operationen.
Wir sehen es so: Wofür Daten erhoben und Eingriffe vorgenommen werden, ist eine Frage der Ich-Entwicklung. Jedes Lebewesen hat das Bestreben, sich an seine Außenwelt anzupassen, um sein Erleben zu optimieren. Das optimale Erleben ist das flow-Erleben.
Je vollständiger die Ich-Entwicklung eines Menschen ist, desto höher seine Kompetenz zur Anpassung und Gestaltung seiner Umwelt sowie zur selbstbestimmten Beeinflussung von flow-Zuständen. Insofern dient die Einflussnahme auf den eigenen Körper der „Selbstermächtigung”, um Autonomie zu erleben und darzustellen. Allerdings reicht diese Autonomie nicht besonders weit, oder?
Quellen: Binder (2016), Wigglesworth (2012), Wilber (2000) | → Verzeichnis